Mina Wetscher, von der Herrenschneiderin zur Hotelierin
Lebensgeschichte einer außergewöhnlichen Frau aus Fügen voller Weisheit, Glauben und Zuversicht
Die Lebensgeschichte von Mina ist geprägt von tiefgreifenden Verlusten. Schon in ganz jungen Jahren verlor Mina ihren Vater. Diese frühe Tragödie war der Beginn einer Reihe von Schicksalsschlägen, die Mina im Laufe ihres Lebens erfahren musste. Die Geburt ihrer Schwester, nur eine Woche nach dem Tod ihres Vaters, mag ein schwacher Trost gewesen sein. Diese Zeit war für die Familie lange ein Wechselbad der Gefühle und Emotionen ohne jegliche Unterstützung.
Geboren in den Wirren der frühen 1930er-Jahre in Stans, wuchs Hermine Knapp, oder Mina, wie sie liebevoll genannt wird, in einer Zeit auf, die von wirtschaftlicher Unsicherheit und gesellschaftlichen Umbrüchen geprägt war. Ihre Familie besaß eine kleine Schneiderwerkstatt in Stans, die landauf, landab sehr geschätzt war. Schon früh entdeckte auch Mina ihre Liebe zu diesem Handwerk, das sie mit viel Liebe zum Detail nach ihrer Pflichtschule und dem Besuch der Ursulinen in Kufstein dann erlernte. Das Wirtschaftskundliche Realgymnasium des Ursulinenordens war für Mina einer der wichtigsten Wegweiser für verantwortungsbewusstes Denken und Handeln. Die Schulzeit bei den Ordensschwestern war zwar sehr streng, aber korrekt. „Wenn wir Schülerinnen wieder einmal etwas ausgefressen hatten und deswegen etwas forsch zurechtgewiesen wurden, meinten die Ordensschwestern nur ganz lapidar, eure Männer werden es euch einmal danken.“ Neben ihren Lieblingsfächern Buchhaltung und Zeichnen sowie der als Freifach gewählten Stenografie, entdeckte Mina bei den Ursulinen ebenso ihre große Liebe zum Kochen, wo sie bald die Beste war. „Nur bei der abschließenden Kochprüfung, bei der gefüllte Kartoffelknödel auf dem Prüfzettel standen, habe ich total versagt. In der Früh ist ein Kaminkehrer in die Küche gekommen und hat eine derartige Sauerei hinterlassen, die mich total aus dem Konzept gebracht hat, was im Nachhinein ja vielleicht ein gutes Omen war“, so Mina aus heutiger Sicht.
Moral & Verantwortung
Neben ihrer dreijährigen Ausbildung als Herrenschneiderin übernahm Mina im elterlichen Betrieb Verantwortung bei der Hausarbeit und in der Küche, wo sie ihre Familie und deren Mitarbeiter mit gutbürgerlicher Kost bekochte. Zu dieser Zeit begann Franz, ein junger Mann aus einer bekannten Gastwirtsfamilie, regelmäßig die Schneiderei zu besuchen. Sein Interesse galt jedoch weniger den angebotenen Waren, als vielmehr der jungen Mina, damals erst 15 Jahre alt. Nach ihrer Zeit in der Klosterschule zeigte Mina allerdings kein Interesse an Männern und suchte Zuflucht in der Küche, um Franz zu entgehen. Minas Mama meinte immer, „geh halt amol aussa zo iam, dös ischt jo a gonz a netta Bua.“ Trotz Minas anfänglicher Zurückhaltung entwickelte sich eine Freundschaft zwischen ihr und Franz. Mina, die eine klare Vorstellung von Beziehungen und Moral hatte, machte aber von Anfang an klar, dass sie vor der Ehe keinerlei sexuelle Beziehungen eingehen wollte, was Franz nur ein wenig widerwillig akzeptierte.
Wendepunkt in Minas Leben
Nachdem Mina ihre Lehre abgeschlossen hatte, träumte sie von mehr. Mit ihren gerade erst neunzehn Jahren sehnte sie sich danach, ihre Grenzen zu erweitern und neue Wege zu gehen. Da kam ihr das Angebot von ihrer Cousine Klara gerade recht, die ihr eine gehobene und sehr gut bezahlte Anstellung als Wirtschafterin bei der Baronin von Tannstein in Igls anbot. Der Monatslohn von 400 Schilling war für Mina sehr verlockend und zu dieser Zeit eine sehr beträchtliche Summe. In dieser Zeit, in der es kaum Autos im ganzen Bezirk Schwaz gab, wurde Mina für das Vorstellungsgespräch bei der Baronin in Igls mit einem weißen Cadillac Cabriolet mit roten Sitzen von ihrem Zuhause in Stans abgeholt, wo für neugierige Blicke das halbe Dorf zusammenkam. Bei der Villa von Tannstein angekommen, meinte Mina zu Klara, „du meine Güte, das ist um einige Nummern zu groß für mich.“ Die hohen weißen Mauern rund um das große Anwesen und das übergroße eiserne Eingangstor erschreckten Mina zusehends, und sie wollte eigentlich gleich wieder heimfahren. Klara konnte Mina überreden, wenigstens vierzehn Tage zu bleiben. Aus diesen wurden zwei intensive, aber unvergessliche Jahre mit unschätzbarem Wert, in denen sie die höchsten Persönlichkeiten aus der ganzen Welt kulinarisch verwöhnen durfte.
Tiroler Küche in Igls
Wenn Baronin von Tannstein für einige Monate auf Weltreise ging, und das kam öfter vor, wurde die Villa immer an noble Gesellschaften aus dem Ausland vermietet. Mina servierte das Essen immer in Trachtenbekleidung mit weißen Handschuhen und genoss dabei die Anerkennung und Wertschätzung der noblen Gäste, die von Minas kulinarischen Köstlichkeiten begeistert waren. „Unter den Gästen befand sich einmal eine ungarische Prinzessin von hohem Adelsgeschlecht, die zwar meine Tiroler Küche sehr schätzte, aber mit mir in meiner Küche stand, um mir zu zeigen, wie man ein ungarisches Gulasch macht.“ Eine indische Herrscherfamilie wollte sie unbedingt nach Bombay mitnehmen. Für Johannes von Thurn und Taxis, einem guten Bekannten der Baronin musste Mina immer eine ihrer selbst kreierten Kartoffelsuppen machen. Eine amerikanische Gouverneurs-Familie wiederum wollte Mina unbedingt nach Amerika mitnehmen. Wie Mina weitererzählt, möchte sie ihre schöne Zeit bei Baronin von Tannstein nicht missen. „Aber die Arbeitszeit von sechs Uhr in der Früh bis Mitternacht und kaum Freizeit, um mich mit meinem damaligen Freund treffen zu können, war mir mit der Zeit doch zu viel.“ Mina kündigte, obwohl die Baronin sie nicht gerne gehen ließ. Danach absolvierte sie weitere Kochkurse sowie ein Praktikum in einer Innsbrucker Konditorei und half zu den Stoßzeiten bei ihrem Freund im Gasthof Marschall in der Küche aus.
Angesehene Köchin
Die eigentlich schöne Beziehung mit Franz endete jedoch wegen einer unschönen Wortwahl seiner Familie Mina betreffend, die daraufhin die Freundschaft mit Franz sofort auflöste. Dieses Ereignis unterstrich Minas Selbstachtung und ihren Mut, Entscheidungen zu treffen, die ihre persönlichen Werte und Überzeugungen widerspiegelten, selbst wenn dies bedeutete, eine schöne Beziehung in ihrem Leben zu beenden. Mina war jetzt ganz auf das Kochen fixiert und fand im Hotel Scholastika am Achensee eine fixe Anstellung als Köchin und für die Patisserie. Ihre Lebensgeschichte nahm eine romantische Wendung, als sie während des Hotel-Erweiterungsbaus auf ihren späteren Lebenspartner traf. Der Umbauprozess des Hotels Scholastika war anstrengend, Mina hielt sich so gut es ging von den Arbeitern fern, deren rauer Umgangston und die Neigung zum Alkohol ihr missfielen. Doch unter ihnen war Hermann, ein junger Maurer aus Fügen, der viel weniger als seine Arbeitskollegen trank und sich durch seine ruhige und bedachte Arbeitsweise auszeichnete „I muass heit nu lachen, wenn i dran denk, wie er oben auf der Terrasse gstanden ist und zuagschaut hat, wia i mit meine zwoa Sautakübl de Schweindln gfüttert hun.“ Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine tiefe Zuneigung zwischen Mina und Hermann, der sie durch seinen Charakter tief beeindruckte, Herman Wetscher war nicht nur im Bauwesen talentiert, sondern darüber hinaus ein visionärer Denker, wie sich später herausstellte. Hermann und Mina wurden ein Paar, und ein Jahr später wurde geheiratet. Bald kamen hintereinander ihre beiden Kinder Klaus und Brigitte auf die Welt. Hermann machte sich schnell einen Namen bei der Firma Lang, wo er sich von der Maurerlehre bis zum Baumeister hocharbeitete. Sein Engagement und seine Visionen für das Dorf blieben nicht unbemerkt, und so wurde er zum Fügener Bürgermeister gewählt. Eines der herausragendsten Projekte, das Hermann Wetscher vor und während seiner Amtszeit in Angriff nahm, waren Planung und Bau der Spieljochbahn. In den 1970er-Jahren erlebte der Tourismus im Zillertal einen großen Aufschwung, und Mina und ihr Mann Hermann erkannten die Gelegenheit, sich im Gastgewerbe zu versuchen. Der Weg war nicht einfach. Mina musste gegen Skepsis und große Widerstände kämpfen, um sich ihren Traum von einer kleinen Pension auf der Hochfügenerstraße in Fügen zu erfüllen.
Unermüdliche Arbeitsmoral
Mit der gleichen Sorgfalt und Hingabe, die sie als Schneiderin an den Tag legte, begann Mina die Pension einzurichten. Sie legte Wert auf jedes Detail und verwandelte das neue Haus in ein charmantes Landhaus, das Gäste aus nah und fern anzog. „Wir waren eine der Ersten im vorderen Zillertal, die in dieser Zeit schon ein WC, Dusche oder Bad in den Zimmern hatten“, berichtet Mina. „Bei der Namensgebung sind mein Mann und ich auf Landhaus Wetscher gekommen, wobei es aber bei einer Namensgleichheit im Dorf zu Verwechslungen kam. Daraufhin tauften wir unsere Pension auf den schönen Namen ‚Landhaus Zillertal‘ um.“ Um die große Nachfrage der Urlaubsgäste abzudecken, entstand aus der kleinen Pension bald ein Hotel, das schnell bekannt wurde für seine außergewöhnliche Gastfreundschaft, seinen Charme und den kulinarischen Kochkünsten von Mina, die sie sich im Laufe der Jahre angeeignet hatte. „Der neue Hotelname Crystal ist der Bali vom Verkehrsverband in Fügen zuzuschreiben. Alles schien im Lot, Wir hatten zwei brave Kinder, wobei unser Sohn Koch lernte und Praxis in renommierten Häusern im In- und Ausland sammelte. Unsere Tochter Brigitte interessierte sich mehr für die Rezeption und den Umgang mit unseren Gästen.“ Dann kam der Tag, an dem Minas Welt zusammenbrach. Es war, als ob man ihr den Boden unter den Füßen wegziehen würde, als die Nachricht kam, dass ihr Sohn bei einem Autounfall in der Schlitterer Kurve ums Leben gekommen war. Der Verlust ihres Sohnes stellte einen erschütternden Schlag in ihrem Leben dar und hinterließ tiefe Narben. Es vergeht kaum ein Tag, an dem Mina nicht an ihren Sohn denkt und „ob er vielleicht doch mit einem Lächeln zur Tür hereinkommt und fragt, Mama, was steht heute an, was kochen wir heute“, erzählt Mina unter Tränen. „Doch das Leben ging nach einer längeren Auszeit für uns weiter. Jedes Jahr war eine Verbesserung in unserem Hotel angesagt. Zu den Bauernstuben kamen 1990 der Swimmingpool im Garten und der Panoramasaal dazu.“ Die Lebensgeschichte von Mina Wetscher ist nicht nur eine Geschichte des persönlichen Erfolgs, sondern ebenfalls eine Liebesgeschichte, die zeigt, wie aus unerwarteten Begegnungen lebensverändernde Partnerschaften entstehen können. Mit jetzt 92 Jahren blickt Mina Wetscher, trotz aller Höhen und Tiefen, auf ein erfülltes Leben zurück. Ihr Weg von der Herrenschneiderin zur erfolgreichen Hotelierin ist ein lebendiges Zeugnis dafür, dass es nie zu spät ist, neue Wege zu beschreiten und seine Träume zu verwirklichen. Ihre Geschichte ist eine Inspiration für zukünftige Generationen, den Wert von Hartnäckigkeit, Leidenschaft, gegenseitiger Unterstützung und dem Glauben an sich selbst nicht zu verlieren. Heute ist das 4* Wellness Hotel Crystal ein Symbol für Qualität und Zillertaler Gastfreundschaft und gilt als eines der besten Häuser im vorderen Zillertal. Trotz des Verlusts ihres Mannes während der Corona-Pandemie bleibt Mina eine Quelle der Inspiration. Sie schreibt monatlich Geschichten über ihren Alltag und ihre Erlebnisse in einer Schreibweise, die die Herzen ihrer Leserschaft berührt.
kawa