Die falsche Medizin
Franz Wechselberger erzählt
Unser alter Doktor, Obermedizinalrat Lambert Raitmayer, war der erste studierte Mediziner, der sich 1895 in Mayrhofen niederließ. Vor ihm war schon ein sogenannter Wundarzt in Mayrhofen, der sein Handwerk ohne universitäre Ausbildung ausübte.
Dieser Wundarzt war ein gewisser Rainer, der als solcher in Mayrhofen und Umgebung tätig war. Rainer half mit seinen Kuren und Tinkturen, Leiden zu heilen oder erträglicher zu machen. Doch einmal passierte dem sonst so gewissenhaften Mann ein Fehlgriff.
Wie fast jeden Tag war sein Wartezimmer auch an diesem Tag wieder einmal übervoll mit Kranken und Hilfesuchenden. Unter den Wartenden war Briggeler Anndl, die Tuxer Bötin, sehr ungeduldig, denn sie musste ja noch den langen Weg ins Tux bewältigen. Auf einmal war sie mit ihrer Geduld am Ende und schrie ins Behandlungszimmer: „Du verteufelter Rainer, gib mir endlach des Einnehmmach für den Winterhauser!“
Schnell ergriff der Arzt eines der bereitstehenden Medizinfläschchen auf dem Tisch. Er übergab das Fläschchen der ungeduldigen Bötin und sagte: „Alle zwei Stunden einen Kaffeelöffel voll.“ Eilig entfernte sich die Bötin. Beim Aufräumen des Behandlungszimmers bemerkte Rainers Gattin, die ihrem Mann öfter beim Zubereiten der Mixturen half, dass das Einnehmmach vom „Winterhauser“ noch auf dem Tisch stand. Sie machte ihren Mann darauf aufmerksam, dass ihm möglicherweise ein Fehler unterlaufen sei. Rainer erinnerte sich genau, dass sich unter den herumstehenden Medizinfläschchen auch eines befand, das mit Harn gefüllt und zur Untersuchung bereitstand. Erschrocken über seinen Fehler ließ er alles liegen und stehen und eilte ins Tux, um gutzumachen, was noch gutzumachen war. Als er vor dem Bett des kranken Winterhausers (unteres Gemais) stand und fragte „Seppl wie geht’s dir denn?“, gab dieser zur Antwort: „Bessar Döktar, bessar, i mua des neue Einnehmmach wirkt schu, obr sofl an übln Gschmoch hot des Zeug, as wenn’s is Brunzwasser vun Teufl war, kam zun ochn bringin.“ Der Doktor Rainer gab dann dem Seppl die richtige Medizin mit der Bemerkung, er soll jetzt dieses Einnehmmach nehmen, weil er glaubt, dass die andere ein „bissl“ zu stark eingerichtet ist. Als der Wundarzt dann vom Winterhaus ins Tal stieg, kehrte er beim Kappeller ein, wo er sich eine Tuxer Forelle schmecken ließ, und da diese bekanntlich schwimmen sollte, begoss er sie mit mehreren Vierteln „Wei“.
Franz Wechselberger – Chronikteam
Foto: Chronik Mayrhofen / Wilhelm Kirchler – Gasthaus Kapeller Vorderlanersbach