Eine wahre Weihnachtsgeschichte
Man schrieb das Jahr 1920. Vater Leo hockte mit seinen 13 Kindern in der alten Bauernstube um den Tisch. Es war Hl. Abend. Viel hatte er nicht zu bieten. Seine Frau Agnes war im vergangenen Sommer zu Portiunkula im Kindbett gestorben. Das Poppele hatte sie in den Tod mitgenommen. Fürwahr, sie hatte eine große Lücke geschlagen. Vater Leo, eben erst vor einem Jahr aus dem Krieg zurückgekommen, war gesundheitlich bei weitem nicht mehr der alte. Seine älteste Tochter, die Hanna, selbst erst 18, musste nun Mutters Stelle übernehmen. Eine schwere Aufgabe für des Mädl. Sie wusste auch nicht, was sie für so viele hungrige Mäuler jeden Tag auf den Tisch bringen sollte. Die Bauernschaft bestand aus drei Kühen, zwei Facken und ein paar Hennen. Das war gerade knapp genug, um zu überleben. Eine kleine Herde im Schafstall brachte die Wolle für Strumpfsocken und lodene Hosen. Vater, sonst Schuster, konnte sein Handwerk fast nicht mehr ausüben, er hatte seit dem Krieg so viel mit dem Magen zu leiden. Jener Hl. Abend war wohl der letzte, den alle gemeinsam verbrachten.
Jörgl und Franz waren schon den ganzen Tag beschäftigt, die Krippe aufzustellen. Sie füllte einen großen Teil der Stube aus. Dieses Jahr gab es wieder ein paar neue Schafe und Hirten. Onkel Maximilian hatte die Buben ein wenig in die Schnitzkunst eingewiesen. Schön behutsam wurden die Figuren auf dem Moos geordnet. Hinter dem Krippenberg wurden Taxen angenagelt und ein wenig Heu in den Stall zu Maria und Josef gegeben. Romana hatte im Sommer ein weißes Spitzendeckchen gestickt, das wurde vorne an die Krippe gehängt. Darauf stand: „Ehre sei Gott in der Höhe“. Sie hatte eine gute Hand.
In der Küche war schon eine große Wurst im Kessel, für jeden ein Stück, genauso wie zu Mutters Zeiten. Im Gaden stand eine Schüssel mit Bockshörnchen (Johannesbrot), welches Jörgl im Spätsommer übers Joch gebracht hatte. Für jeden ein Apfel war auch bereit. Vater Leo hatte im Herbst einen Rucksack voll vom Vetter Lois vom Lande mitgebracht. Groß war die Freude der Kinder über so viele gute Sachen. Aber zuerst wurde noch vor der Krippe der Rosenkranz gebetet.
Wie aufgefädelt knieten alle um die Bänke. Jörgl 19, Romana 17, Maria 16, Franz 15, Max 14, Lies 12, Veit 10, Niggl 8, Agnes 7, Annarosa 3, und die kleine Paula durfte mit Hanna beim Ofen hocken. Viel zu lange dauerte der Rosenkranz. Jeder dachte nur an die Wurst und die Äpfel. Vater Leo hatte sicher andere Sorgen. Wohin sollte er im nächsten Sommer die ganzen Esser ausstatten. Vielleicht hatte er das Jesuskind ganz fest darum gebeten, dass alles gut weiter ging.
Endlich saßen alle bei der besagten Wurst, schön aufgeteilt, für jeden ein Stück. Da ertönte auf einmal von draußen ein feines Glöckchen. Jörgl, der Älteste, stand auf, um nachzuschauen. Schwer ging der Riegel von der alten Tür, aber niemand war draußen. Auf der Hausbank jedoch stand eine große Schüssel mit süßen Krapfen. Genau solche, wie sie die Mutter immer auf die Alm geschickt hatte. Jörgl nahm sie mit in die Stube, und alle stürzten sich darauf. Wer mag sie wohl abgestellt haben? Den Kleinen wurde erzählt, dass sie die Mutter vom Himmel geschickt hatte. Die Großen dachten wohl eher an Base Mena. Jedenfalls war der Hl. Abend gerettet. Um 11 Uhr machten sich alle auf zur Mette. Nur die drei Kleinen waren schon längst in ihre Strohsäcke gefallen. Die zwölfjährige Lies musste auf sie schauen. Mit Laternen ausgestattet, gingen alle gemeinsam, die Geburt Christi zu feiern.
Und das Christkind hat die Familie gesegnet. Alle sind rechtschaffene Menschen geworden.
Geschrieben nach den Erzählungen von meinem Vater. Er war ein Kind dieser Familie.
Erna Schönherr, Mayrhofen